Page 32 - Galerie Schrade | 50 Jahre - seit 1971
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liegt. Währenddessen gilt Courbet (1819-1877), zu rücken. Zuehlke praktiziert die Form poetisch
dessen Werk auch symbolistische Züge trägt, als interpretationsoffener Formvergessenheit, indem
Erzrealist - nicht zuletzt der roten Pfaffennasen sie alles Mimetische zurückdrängt und dennoch
im wandfüllenden „Begräbnis von Ornans“ Assoziationen zu atmosphärischen Phänomenen
wegen -, wo er doch andererseits die Wogen der weckt, die wir kennen.
Normandie malerisch in zahllose Kleinstpartikel Arbeiten von Lothar Quinte (1923-2000),
zerstäubt hat, die sich erst im Auge des Betrachters des zweiten bedeutenden HAP Grieshaber-
zur Welle aufbauen: ein Upload gleichermaßen, Schüler,s, den die Galerie neben Walter Stöhrer
das vom Rezipienten wiederum das verlangt, seit langer Zeit vertritt, wurden in Zusammenhang
was man Abstraktionsvermögen nennt. In der gebracht mit der Op-Art, Quinte somit in die
Begrifflichkeit liegt die Schwierigkeit. Tatsächlich Nähe Marras gerückt. Doch der Kritiker Peter Iden
gibt Courbet, wie es der Impressionismus verlangt, erfasst Quintes Vorgehensweise im Prozesshaften
dem (sinnlichen) Eindruck von der Sache zuweilen so: „Unbeirrbar in Bewegung auf etwas zu, das
mehr Gewicht als der Sache selbst, würde aber erst im Akt des Malens bewusst wurde.“ Die
– richtigerweise - niemals den Impressionisten „gegenstandsfreie, die absolute Malerei war für
zugerechnet. uns das unerhört Neue“, ergänzt Quinte und
meint damit seine Generation und Mitstreiter. „So
Prinzipiell erschließt immer erst die individuelle hieß moderne Malerei von Anfang an abstrakte
ästhetische und Seh-Erfahrung die im Bildraum Malerei“, wirft Iden ihm hin, und Quinte nickt:
konzentrierte visuell vermittelte Ambition. „Damals auf alle Fälle – das war die Freiheit.“
Abstraktion wie Figuration ist Konstruktion. Es sind Überraschend wächst unterdessen mitunter
die Übergänge, die uns anziehen, die Zwischen(be-) einem Bildmotiv neue Bedeutung zu. Ein Motiv
reiche, gewissermaßen die Transiträume zwischen von Quinte schlägt aus abstrakten – in diesem
den Stilrichtungen und Ausdrucksarten. Die Fall himmlischen - Höhen jetzt auf dem Boden
50-Jahre-Jubiläumsgala der Galerie Schrade ist der irdischen Tatsachen auf. Er malte in den
eine Hommage an das Changieren der Stile und 1970er Jahren Bilder, die einen aktuellen Bezug
Zuordnungen. Figürliche Strukturen müssen nicht zu haben scheinen: “Corona-Bilder“. Der Maler
zwingend ein gegenständliches Bild ergeben, bezieht sich freilich auf das Corona-Phäomen in
selbst das Menschenbild kann im surrealen der Planetologie, unternimmt einen von potentiell
Cluster von Leibern und Körperfragmenten auf unendlich vielen Versuchen der Visualisierung
vielfältige Art abstrahiert werden. Auf der anderen durch Vergegenständlichung parallel zur
Seite muss nachdrückliche Geometrisierung nicht Wirklichkeit. Nunmehr ist der Begriff für alle Zeit
Gegenstandslosigkeit bedeuten. mit Krankheit assoziiert. Dabei hatte Quinte in
Nicht nur im Gemälde „Lichtort“, 2017, von seiner abstrakten Malerei gerade Abstand nehmen
Susanne Zuehlke (*1962), die während wollen vom real drückenden Alltag. Die Freiheit
eines Aufenthaltes in Tucson, Arizona, der Kunst, sie liegt heute auch im Spiel der Stile.
die Lichtsensationen und wüste Weite des Dabei gilt, was Quinte formuliert, gleichermaßen
amerikanischen Westens erfahren hat, spielt für alle in dieser Jubiläumsrunde vereinten
eine Landschaftsidee in die Komposition mit Künstler, die große Individualität auszeichnet und
Rechtecken, einem feinen Kreissegmentbogen das Bewusstsein, etwas zu schaffen, das bleibt:
und geometrischem Aufbau. Tatsächlich wählt die „Was ich male, bin ich.“
Künstlerin, die den Amerikaner Richard Diebenkorn
zu ihren Referenzfiguren zählt, geometrische Dorothee Baer-Bogenschütz
Figuren, um der Realität durchaus verbunden
zu bleiben und nicht, um sie in allzu weite Ferne
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