Page 4 - Galerie Ewald Schrade - Christopher Lehmpfuhl · Am Bodensee
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Christoph Breitwieser
A M B O D E N S E E in die Schweiz auf. Malen ist neben seiner Berufung auch ze Erleichterung über die wiedergewonnene Freiheit des
schlichtweg sein Beruf. Alles ist organisiert, eine Arbeits- Freilichtmalers durch einen buntgemischten Wellentanz
genehmigung für drei Tage liegt vor. In Konstanz macht auf dem Wasser ausdrückt. Ein Befreiungsschlag, dem er
Der Bodensee ist Christopher Lehmpfuhl wohlbekannt tion am Hang. Von hier aus kann er noch besser die Natur er sich bereit zur Überfahrt und dann der Schock: Nach gleich einen Farbrausch in Form des Kleinformates „Hafen-
und war in den vergangenen Jahren immer wieder ein Ziel – die Weite des Sees, die entfernten Berge und das Gefälle der Einreise in die Schweiz müsste er in Quarantäne. Eine szene am Abend“ hinterherschickt: Stränge buntfarbiger
für seine Malreisen. Doch die jüngst entstandenen Zyklen mit seinen üppig grünen Rebstöcken – darstellen. Es ist Quarantäne, welche die Teilnahme an seiner lange erwar- Pastosität winden sich geradezu vergnügt auf der kleinen
aus den beiden letzten Jahren erzählen außergewöhnliche mittlerweile Abend, als sich der Maler für den Abschluss teten und umfassenden Retrospektive im Landesmuseum Leinwand und laden das Auge schlichtweg zum Genuss
Geschichten. Ein erster Lockdown im Frühjahr 2020 und in Birnau an einen höher gelegenen Platz begibt, um ein Schloss Gottorf verhindern würde. Ausgerechnet der Bo- ein, ohne auf einer Gegenständlichkeit zu bestehen.
strenge Auflagen zum Reisen sowie Kontaktbegrenzungen farbenreiches und dicht gemaltes Diptychon auf die Lein- densee – ein eigentlich Europa verbindender Ort – wird zur Christopher Lehmpfuhls Ansichten sind ohnehin meist
zur Eindämmung des Coronavirus bestimmten das Leben wand zu bringen. Die Schatten zeigen an, dass die Sonne Grenze der Freiheit. Man muss an Otto Dix denken, der menschenleer. Dass aber Konstanz in dieser Zeit wirklich
in Deutschland und dem Rest der Welt. Im Oktober bricht nun einmal über den Himmel gewandert ist und das Licht die Landschaft des Bodensees als „Zum Kotzen schön“ geradezu verwaist ist, offenbart sich durch das Panorama
Lehmpfuhl von Berlin in den Süden auf, ohne zu ahnen, zunehmend schwindet. Die Farben sind kräftiger, der Duk- bezeichnet und sich in seinem Haus in Hemmenhofen mit Platanen am alten Hafen – einem der sonst belebtes-
dass es die letzte Reise vor einem langen Winter mit Ent- tus schroffer. Zwischen diese drei beschriebenen Gemälde dieser zunehmend künstlerisch widmet und einen Weg ten Plätze der Stadt. Von hier aus blicken üblicherweise
behrungen und erneuten Einschränkungen werden soll- lassen sich die kleinen, mit schwungvollem Gestus gemal- finden muss, diese Übersättigung an Schönheit malerisch täglich tausende von Besuchern auf Peter Lenks Imperia.
te. Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes malerischer ten Stücke „Weinberge im Gegenlicht“ und als Schluss- zu bändigen. Das kühle Frühlingslicht ist so gleißend, dass die kahlen
Herbst mit den letzten Sonnenstrahlen warmen Lichts. Der punkt das „Abendrot“ einreihen. Lehmpfuhl erfüllt seinen Bäume und der gekieste Boden fast schneebedeckt aus-
Himmel ist fast noch sommerlich kobalt- bis azurblau, wie Anspruch, einen Ort oder eine Region ganzheitlich zu er- Und Christopher Lehmpfuhl stellt fest, dass er nun die Ge- sehen, was die besondere und einzigartige Atmosphäre in
es auf den beiden Lindauer Gemälden zu sehen ist, doch fassen, mit dieser Reihe aus Birnau durch den Wechsel legenheit hat, sich völlig frei, ohne Auftrag und Ziel, mit diesen Tagen unterstreicht. Hingerissen von der Frühlings-
„Überlingen am Morgen“ offenbart schon eine herbstliche des Standorts und die unterschiedlichen Lichtverhältnisse aufgestauter Malenergie und wachem Blick Konstanz und sonne wendet sich Lehmpfuhl dem See zu und malt den
Morgenröte und auch beim kleinformatigen „Abendrot“ zu verschiedenen Tageszeiten besonders gut. See erneut malerisch zuwenden zu können. Die Situation „Hafen im Licht“. Zur Darstellung des harten Gegenlichtes
stellt sich eine unübersehbare Frische im Licht ein. Kaum zurück von dieser Reise folgt bereits im November ist außergewöhnlich, denn zum einen durchdringt erstmals setzt er viel Weiß ein und überhöht Wasser, Architektur
Christopher Lehmpfuhl bereist im Herbst 2020 besonders der sogenannte Lockdown light mit neuerlichen Einschrän- im Jahr 2021 die Frühlingssonne die graue Wolkendecke und Bäume mit dem Einsatz von Schwarz. Eine einzelne
das nördliche Ufer des Überlinger Sees, macht dort Station kungen. Das über Sommer und Herbst wiedergewon- des gefühlt unendlich langen Lockdown-Winters und sen- Person im Vordergrund wirkt in sich gekehrt und beinahe
in Birnau und Überlingen und fährt weiter bis nach Lindau nene Alltagsleben wird beschnitten und schließlich ereilt det im wahrsten Sinne des Wortes Lichtblicke. Zum an- verirrt.
am südwestlichen Ende des Obersees, bevor er noch Deutschland im Dezember der zweite harte Lockdown. deren bietet sich ihm zum ersten und wohl einzigen Mal Während er diese merkwürdige Stimmung einfängt, be-
Bregenz am Westzipfel der Bregenzer Bucht besucht. Da- Dieser ist besonders schwer für den Freilichtmaler und die Gelegenheit, ungestört und ohne touristische Men- obachten ihn ab und an einige Konstanzer aus „sicherer“
bei entsteht eine Reihe von Gemälden unterschiedlicher scheint kein Ende zu nehmen. Wenige Ölbilder entstehen schenmassen Konstanz und die Region darzustellen. Wer Entfernung. Sie sind hin- und hergerissen zwischen Verun-
Formate, bei denen sicherlich die schräge Seitenansicht in dieser Zeit in Berlin – Aquarelle mit Stadt- und Interieur- Christopher Lehmpfuhl bei der Arbeit gesehen hat, weiß, sicherung und Abstandhalten und der Begeisterung, dass
der Birnauer Wallfahrtskirche mit ihrer stadtbildprägenden szenen sind zum einen eine wiederentdeckte Ausdrucks- dass ständig Trauben von Menschen um ihn herum stehen, durch die Malperformance nach langer Zeit überhaupt
rosa Fassade herausragend ist. Für diese großformatige form und gleichzeitig Ventil für die sich zunehmend auf- bedrohlich nahe kommen und Fragen über Fragen stellen. endlich einmal wieder etwas an der Hafenpromenade pas-
Malerei positioniert sich Lehmpfuhl vor dem nordwestli- stauende Malenergie. Angebote wie digitale Aus stellungen, Dies erträgt er freilich professionell und gibt bereitwillig siert, erzählt mir Lehmpfuhl. In diesem Moment wird ihm
chen Zugang zum Kloster zwischen einer Streuobstwiese Filme, Podcasts und allerlei Kreatives befriedigen weder Auskunft. Dem Malvorgang sind diese Unterbrechungen klar, wie besonders diese Situation ist und dass er die Ge-
und den zum Ufer des Sees hin abfallenden Weinbergen. den Pleinairmaler, noch die Kunst- und Kulturgemeinde; jedoch nicht zuträglich und auf einmal wird ihm klar: Au- legenheit hat, etwas Einzigartiges zu schaffen, dass sich
So gelingt es ihm, eine totale Perspektive einzufangen, die entfalten sich doch gerade Christopher Lehmpfuhls Ge- ßer einem weiteren Gast mit geschäftlichem Nachweis ist erst einmal so nicht wiederholen wird.
Kirche, die steilen Weinberge sowie den See mit den Ber- mälde erst in der direkten und persönlichen Konfrontati- niemand in seinem Konstanzer Hotel, die Uferpromenade Den zweiten Teil seines ungeplanten Aufenthaltes am Boden-
gen und dem Hafen Unteruhldingens im Hintergrund um- on. Das Unbehagen wächst zunehmend und dann, erst frei von Touristen. Es bietet sich ihm ein pures Konstanz, see nutzt er für einen Ausflug zum Untersee und besucht
fasst. Die kühle Morgensonne, mit einem Hauch Rosé in im April 2021, endlich wieder Öffnungen, vorsichtige Kul- denn wie er mir selbst sagt, tut er sich sehr schwer mit die Insel Reichenau. Bislang hatte er diesen zauberhaften
der Lichtspiegelung auf dem Wasser, hat sich gerade über turangebote und Reisemöglichkeiten – zumindest Dienst- dem sonst so quirligen und touristisch überfüllten Ort. Und Ort noch nie besucht. Die geschenkte Zeit und Freiheit
die Berge gekämpft. Für eine zweite Panoramaansicht des reisen werden zugelassen. Und sogleich bricht Christo- gleich am ersten Abend entsteht ein großes „Konstanz- machen diesen Abstecher überhaupt erst möglich. Schon
gleichen Motivs entscheidet sich Lehmpfuhl für eine Posi- pher Lehmpfuhl bei erster Gelegenheit zu einer solchen Panorama“ mit Blick auf die Altstadt, in dem sich die gan- bei der Überfahrt hat Lehmpfuhl das Gefühl, er bewegt
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