Page 5 - Galerie Ewald Schrade - Christopher Lehmpfuhl · Am Bodensee
P. 5

Christoph Breitwieser
 A M  B O D E N S E E  in die Schweiz auf. Malen ist neben seiner Berufung auch   ze Erleichterung über die wiedergewonnene Freiheit des

               schlichtweg sein Beruf. Alles ist organisiert, eine Arbeits-  Freilichtmalers  durch  einen  buntgemischten  Wellentanz
               genehmigung  für  drei  Tage  liegt  vor.  In  Konstanz  macht   auf dem Wasser ausdrückt. Ein Befreiungsschlag, dem er
 Der Bodensee ist Christopher Lehmpfuhl wohlbekannt   tion am Hang. Von hier aus kann er noch besser die Natur   er sich bereit zur Überfahrt und dann der Schock: Nach   gleich einen Farbrausch in Form des Kleinformates „Hafen-
 und war in den vergangenen Jahren immer wieder ein Ziel   – die Weite des Sees, die entfernten Berge und das Gefälle   der Einreise in die Schweiz müsste er in Quarantäne. Eine   szene am Abend“ hinterherschickt: Stränge buntfarbiger
 für seine Malreisen. Doch die jüngst entstandenen Zyklen   mit seinen üppig grünen Rebstöcken – darstellen. Es ist   Quarantäne, welche die Teilnahme an seiner lange erwar-  Pastosität winden sich geradezu vergnügt auf der kleinen
 aus den beiden letzten Jahren erzählen außergewöhnliche   mittlerweile Abend, als sich der Maler für den Abschluss   teten und umfassenden Retrospektive im Landesmuseum   Leinwand und laden das Auge schlichtweg zum Genuss
 Geschichten. Ein erster Lockdown im Frühjahr 2020 und   in Birnau an einen höher gelegenen Platz begibt, um ein   Schloss Gottorf verhindern würde. Ausgerechnet der Bo-  ein, ohne auf einer Gegenständlichkeit zu bestehen.
 strenge Auflagen zum Reisen sowie Kontaktbegrenzungen   farbenreiches und dicht gemaltes Diptychon auf die Lein-  densee – ein eigentlich Europa verbindender Ort – wird zur   Christopher Lehmpfuhls Ansichten sind ohnehin meist
 zur Eindämmung des Coronavirus bestimmten das Leben   wand zu bringen. Die Schatten zeigen an, dass die Sonne   Grenze der Freiheit. Man muss an Otto Dix denken, der   menschenleer. Dass aber Konstanz in dieser Zeit wirklich
 in Deutschland und dem Rest der Welt. Im Oktober bricht   nun einmal über den Himmel gewandert ist und das Licht   die Landschaft des Bodensees als „Zum Kotzen schön“   geradezu verwaist ist, offenbart sich durch das Panorama
 Lehmpfuhl von Berlin in den Süden auf, ohne zu ahnen,   zunehmend schwindet. Die Farben sind kräftiger, der Duk-  bezeichnet und sich in seinem Haus in Hemmenhofen   mit Platanen am alten Hafen – einem der sonst belebtes-
 dass es die letzte Reise vor einem langen Winter mit Ent-  tus schroffer. Zwischen diese drei beschriebenen Gemälde   dieser  zunehmend  künstlerisch  widmet  und  einen  Weg   ten Plätze der Stadt. Von hier aus blicken üblicherweise
 behrungen und erneuten Einschränkungen werden soll-  lassen sich die kleinen, mit schwungvollem Gestus gemal-  finden muss, diese Übersättigung an Schönheit malerisch   täglich tausende von Besuchern auf Peter Lenks Imperia.
 te. Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes malerischer   ten  Stücke  „Weinberge  im  Gegenlicht“  und  als  Schluss-  zu bändigen.   Das kühle Frühlingslicht ist so gleißend, dass die kahlen
 Herbst mit den letzten Sonnenstrahlen warmen Lichts. Der   punkt das „Abendrot“ einreihen. Lehmpfuhl erfüllt seinen   Bäume und der gekieste Boden fast schneebedeckt aus-
 Himmel ist fast noch sommerlich kobalt- bis azurblau, wie   Anspruch, einen Ort oder eine Region ganzheitlich zu er-  Und Christopher Lehmpfuhl stellt fest, dass er nun die Ge-  sehen, was die besondere und einzigartige Atmosphäre in
 es auf den beiden Lindauer Gemälden zu sehen ist, doch   fassen,  mit  dieser  Reihe  aus  Birnau  durch  den  Wechsel   legenheit hat, sich völlig frei, ohne Auftrag und Ziel, mit   diesen Tagen unterstreicht. Hingerissen von der Frühlings-
 „Überlingen am Morgen“ offenbart schon eine herbstliche   des Standorts und die unterschiedlichen Lichtverhältnisse   aufgestauter Malenergie und wachem Blick Konstanz und   sonne wendet sich Lehmpfuhl dem See zu und malt den
 Morgenröte und auch beim kleinformatigen „Abendrot“   zu verschiedenen Tageszeiten besonders gut.   See erneut malerisch zuwenden zu können. Die Situation   „Hafen im Licht“. Zur Darstellung des harten Gegenlichtes
 stellt sich eine unübersehbare Frische im Licht ein.   Kaum zurück von dieser Reise folgt bereits im November   ist außergewöhnlich, denn zum einen durchdringt erstmals   setzt  er  viel  Weiß  ein  und  überhöht  Wasser,  Architektur
 Christopher Lehmpfuhl bereist im Herbst 2020 besonders   der sogenannte Lockdown light mit neuerlichen Einschrän-  im Jahr 2021 die Frühlingssonne die graue Wolkendecke   und Bäume mit dem Einsatz von Schwarz. Eine einzelne
 das nördliche Ufer des Überlinger Sees, macht dort Station   kungen. Das über Sommer und Herbst wiedergewon-  des gefühlt unendlich langen Lockdown-Winters und sen-  Person im Vordergrund wirkt in sich gekehrt und beinahe
 in Birnau und Überlingen und fährt weiter bis nach Lindau   nene Alltagsleben wird beschnitten und schließlich ereilt   det im wahrsten Sinne des Wortes Lichtblicke. Zum an-  verirrt.
 am  südwestlichen  Ende  des  Obersees,  bevor  er  noch   Deutschland im Dezember der zweite harte Lockdown.   deren bietet sich ihm zum ersten und wohl einzigen Mal   Während  er  diese  merkwürdige  Stimmung  einfängt,  be-
 Bregenz am Westzipfel der Bregenzer Bucht besucht. Da-  Dieser  ist  besonders  schwer  für  den  Freilichtmaler  und   die Gelegenheit, ungestört und ohne touristische Men-  obachten ihn ab und an einige Konstanzer aus „sicherer“
 bei  entsteht  eine  Reihe  von  Gemälden  unterschiedlicher   scheint kein Ende zu nehmen. Wenige Ölbilder entstehen   schenmassen Konstanz und die Region darzustellen. Wer   Entfernung. Sie sind hin- und hergerissen zwischen Verun-
 Formate, bei denen sicherlich die schräge Seitenansicht   in dieser Zeit in Berlin – Aquarelle mit Stadt- und Interieur-  Christopher Lehmpfuhl bei der Arbeit gesehen hat, weiß,   sicherung und Abstandhalten und der Begeisterung, dass
 der Birnauer Wallfahrtskirche mit ihrer stadtbildprägenden   szenen sind zum einen eine wiederentdeckte Ausdrucks-  dass ständig Trauben von Menschen um ihn herum stehen,   durch die Malperformance nach langer Zeit überhaupt
 rosa Fassade herausragend ist. Für diese großformatige   form und gleichzeitig Ventil für die sich zunehmend  auf-  bedrohlich nahe kommen und Fragen über Fragen stellen.   endlich einmal wieder etwas an der Hafenpromenade pas-
 Malerei positioniert sich Lehmpfuhl vor dem nordwestli-  stauende Malenergie. Angebote wie digitale Aus stellungen,   Dies erträgt er freilich professionell und gibt bereitwillig   siert, erzählt mir Lehmpfuhl. In diesem Moment wird ihm
 chen Zugang zum Kloster zwischen einer Streuobstwiese   Filme,  Podcasts  und  allerlei  Kreatives  befriedigen  weder   Auskunft. Dem Malvorgang sind diese Unterbrechungen   klar, wie besonders diese Situation ist und dass er die Ge-
 und den zum Ufer des Sees hin abfallenden Weinbergen.   den  Pleinairmaler,  noch  die  Kunst-  und  Kulturgemeinde;   jedoch nicht zuträglich und auf einmal wird ihm klar: Au-  legenheit hat, etwas Einzigartiges zu schaffen, dass sich
 So gelingt es ihm, eine totale Perspektive einzufangen, die   entfalten sich doch gerade Christopher Lehmpfuhls Ge-  ßer einem weiteren Gast mit geschäftlichem Nachweis ist   erst einmal so nicht wiederholen wird.
 Kirche, die steilen Weinberge sowie den See mit den Ber-  mälde erst in der direkten und persönlichen Konfrontati-  niemand in seinem Konstanzer Hotel, die Uferpromenade   Den zweiten Teil seines ungeplanten Aufenthaltes am Boden-
 gen und dem Hafen Unteruhldingens im Hintergrund um-  on. Das Unbehagen wächst zunehmend und dann, erst   frei von Touristen. Es bietet sich ihm ein pures Konstanz,   see nutzt er für einen Ausflug zum Untersee und besucht
 fasst. Die kühle Morgensonne, mit einem Hauch Rosé in   im April 2021, endlich wieder Öffnungen, vorsichtige Kul-  denn wie er mir selbst sagt, tut er sich sehr schwer mit   die Insel Reichenau. Bislang hatte er diesen zauberhaften
 der Lichtspiegelung auf dem Wasser, hat sich gerade über   turangebote und Reisemöglichkeiten – zumindest Dienst-  dem sonst so quirligen und touristisch überfüllten Ort. Und   Ort  noch  nie  besucht.  Die  geschenkte  Zeit  und  Freiheit
 die Berge gekämpft. Für eine zweite Panoramaansicht des   reisen werden zugelassen. Und sogleich bricht Christo-  gleich  am  ersten  Abend  entsteht  ein  großes  „Konstanz-  machen diesen Abstecher überhaupt erst möglich. Schon
 gleichen Motivs entscheidet sich Lehmpfuhl für eine Posi-  pher  Lehmpfuhl  bei  erster  Gelegenheit  zu  einer  solchen   Panorama“ mit Blick auf die Altstadt, in dem sich die gan-  bei der Überfahrt hat Lehmpfuhl das Gefühl, er bewegt
 4                                                                                                                        5
   1   2   3   4   5   6   7   8   9   10