Page 6 - Galerie Ewald Schrade - Christopher Lehmpfuhl · Am Bodensee
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sich  aus  der  realen  Welt  hinaus  und  entdeckt  so  etwas   Blick auf den Strand in die Gegenstandslosigkeit fallen
               wie eine „heile Welt“. Pandemie und Wirtschaftskrise ha-  und arbeitet nur mit der Struktur der pastosen Ölfarbe, um
               ben hier keinen Einfluss auf die Natur und magische Ent-  „Steine und Wasser“ voneinander abzusetzen.
               rücktheit und auch  persönliche Belastungen fallen von   Die  beiden  Reisen  zum  Bodensee  sind  also  von  unter-
               dem Maler ab. Neue Farbklänge, die er so noch nicht   schiedlichen Gegebenheiten und Gemütszuständen ge-
               kannte, tun sich auf und er bewegt sich einen Tag lang   prägt, wie sie nicht stärker ausfallen könnten. Zum einen
               zutiefst  entschleunigt  und  mit  der  blanken  Konfrontation   bilden sie die Klammer zwischen einer düsteren Phase der
               mit Nachtigallengesang und Insektensummen. Als kleines   Kontakt- und Reisebeschränkungen und sind damit chro-
               Paradies empfindet er die Reichenau und so nennt er auch   nologische Zeugnisse einer Situation, die noch lange im
               das große Gemälde mit Trauerweide, Schilf und Boot. So   kollektiven Gedächtnis verhaftet bleiben wird. Das Herbst-
               wie  es  ein  Freilichtmaler  verdient,  kann  sich  Christopher   licht aus dem Oktober als Hinweis auf die nahende Dun-
               Lehmpfuhl in aller Ruhe, fernab der geschäftigen Welt, die-  kelheit des Winters steht symbolisch dem ersten Frühlings-
               sem Gemälde widmen. Selten sind die pastelligen Farbtö-  licht und  dem Aufbruch zu „besseren  Zeiten“ entgegen.
               ne so nuanciert eingesetzt. Das einsame Boot am Ufer ist   Und gleichzeitig sind die beiden Bilderzyklen vom Boden-
               der einzige Hinweis auf Zivilisation. Das Festland mit roten   see nicht bloß die malerische Dokumentation eines Chro-
               Dächern der Häuser ist in der Ferne nur zu erahnen. Der   nisten außergewöhnlicher Zeiten. Christopher Lehmpfuhls
               See ruht still, man kann das leise Rascheln des Schilfes   persönliche  Empfindungen,  sein  Seelenzustand  und  die
               beim Betrachten des Bildes fast vernehmen. Hier möchte   Sensibilität für gesellschaftliche Situationen – gerade in
               man verweilen. Und das tut Lehmpfuhl auch und widmet   diesen merkwürdigen Phasen der Pandemie – machen
               sich im Laufe des Tages den Wechseln des Lichts und des   diese Malerei zu einem Zeugnis intensiver Auseinander-
               Wetters. Beim „See am Abend, Reichenau“ ist der Himmel   setzung zwischen innerem Ich und dem, was ihm sichtbar
               zugezogen, was Lehmpfuhl in einer vom Naturalismus los-  auf den Reisen begegnet.
               gelösten grauen Symphonie zelebriert. Er lässt sich beim





























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